Beratung statt Burger: Yaseen Taha löst gerne Probleme

Ein Mann und eine Frau stehen an einer Straße und lächeln
Zwei gute Geister der Bahnhofstrasse: Yaseen Taha und Melanie Franz.© Servicebüro Jugendmigrationsdienste

Damals, vor dem Abschluss seines Informatik-Studiums, stehen die Zeichen im Irak auf Krieg. Er ahnt, welche Zukunft ihm blüht: vom Computer ans Gewehr, von der Informatik ins Inferno. Er entschließt sich zur Flucht. Weil sein Vater früher als Botschafter in Wien seine Urlaube in Deutschland verbracht hatte und von der deutschen Kultur schwärmt, wählt der Sohn als Zufluchtsort Deutschland.

Als Geflüchteter landet er in Sensweiler, einem Dorf bei Idar-Oberstein. Er kommt auf die Idee, für seinen Gastgeber, einen Bauern, die Kühe zu hüten im Tausch für Deutsch-Lektionen. Der 4. Januar 2002 wird sein erster Arbeitstag. Bei einem Meter Neuschnee gilt es, die 100-köpfige Herde zusammenzutreiben. Taha ist sicher: „Wer Kühe versteht, versteht auch Menschen.“

Der Bauer lädt Taha 2002 zu einem Karnevalsfest ein und der junge Mann erlebt einen Kulturschock. Er lernt daraus, dass das Verständnis der Kultur eines Landes genauso wichtig ist wie dessen Sprache. Erneut ergreift er die Initiative. Nachdem er im Juni seine Aufenthaltsgenehmigung erhält, will er weiter studieren. Noch gibt es nicht die Fördermöglichkeiten, die nach der großen Fluchtbewegung 2015 geschaffen werden. Er bewirbt sich deshalb für einen Job bei einer Burgerkette und bekommt mit seinem wunderbaren Satz „Ich kann alles sauber!“ eine Zusage.

Herr Yaseen Taha sitzt auf einem Schreibtischstuhl und lacht in die Kamera.
Yaseen Taha hat gut Lachen.© Servicebüro Jugendmigrationsdienste

Sprache als Schlüssel zur Integration

Neben der Arbeit lernt er an der Universität in Kursen zunächst weiter Deutsch. Als ihm die Geschäftsführertätigkeit der Fast-Food-Filiale angeboten wird, trifft er erneut eine wichtige Entscheidung: Er lehnt ab, denn er sieht sich als Informatiker, nicht als „king ofthe burgers“. Heute sagt er: „Eine Sprache ist immer mehr wert als Geld.“  Dieser Weg führt ihn schließlich 2016 zur Diakonie und zum JMD.

Seitdem ist er ein geschätzter Berater für die Jugendlichen in Neunkirchen, der zweitgrößten Stadt des Saarlandes. Er ist einer der guten Geister des JMD in der Bahnhofstrasse 26 und organisiert hier unter anderem Sprachkurse und Jugendfreizeiten. Auch seine Kollegin Melanie Franz, Mitarbeiterin im Respekt-Coaches-Programm der JMD, schwärmt: „Er ist eine Quelle der Inspiration, hat ganz viele neue Impulse hier eingebracht, kennt sich dazu noch mit der EDV aus und bringt interkulturelles Leben in die Bude.“ Nach kurzem Nachdenken ergänzt sie: „Er hat nur einen kleinen Fehler: Er kann nicht Nein sagen.“

ein Berater sitzt mit zwei Kunden am Schreibtisch.
Ein Berater, zwei Kunden, drei kluge Köpfe.© Servicebüro Jugendmigrationsdienste

Am Schwarzen Brett des Büros hängen zahlreiche Presseausschnitte, etwa über das Setzen von „Stolpersteinen“, jene Erinnerungssteine für jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die im NS-Staat verfolgt, vertrieben und getötet wurden. Oder über die jüngste Aktion gegen Putins Angriffskrieg, bei der 700 Schülerinnen und Schüler 99 Luftballons und fünf weiße Friedenstauben in den Himmel aufsteigen ließen.

Organisationstalent auch im Lockdown

Ein Fotobuch in Yaseen Tahas Büro dokumentiert die Kanufahrten, die bis zur Pandemie ein besonderer Höhepunkt des Jahres waren. Vier Zweierkanus und ein Achtsitzerbus waren die Ausrüstung für eine Tour, bei der Jugendliche begeistert zupackten, sich gegenseitig halfen, Freizeit und Auszeit verbanden.

Besonders stolz ist der Sozialarbeiter auf das schnelle Umschalten in den Corona-Modus. Nachdem der zweite Lockdown im Dezember 2020 ausgerufen wurde, startete der JMD bereits im nächsten Monat mit Online-Sprachkursen und das Ergebnis konnte sich sehen lassen: 90% der Teilnehmenden haben bestanden.

Die nötigen Tablets für den Kurs hatte Taha über Kleinanzeigen gefunden und die Preise pro Gerät auf unter 50 Euro gehandelt, was eine unbürokratische Anschaffung ermöglichte. Das zeitaufwändige Antragswesen ist für Yaseen Taha der einzig erkennbare Nachteil in seinem Traumjob, zu dem auch die Erreichbarkeit rund um die Uhr und verplante Wochenenden gehören. Ein Nine-to-Five-Job wäre nichts für Taha. Aktuell kommen neue Herausforderungen auf ihn zu, er betreut die erste Familie mit drei Kindern aus der Ukraine.

Salsa-Urlaub zum Studienabschluss

Er freut sich über innovative Fortschritte, wie den „Aller-Welts-Garten“, in dem Jugendliche auf 500 Quadratmetern ihre eigenen Beete bepflanzen. Im Herbst ist ein Kunstprojekt mit zwei iranischen Künstlern geplant, bei dem Jugendliche gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern im Atelier diskutieren, arbeiten und experimentieren: Spracherwerb durch Kunstverständnis, ein neuer Ansatz. Für sein Studium, das er berufsbegleitend absolviert, arbeitet Taha an einer Bachelorarbeit über die Geschichte der Jugend(sozial)arbeit.

Vier Personen beim arbeiten im Aller-Welts-Garten
Volle Tische und ganze Freude beim Sommerfest des JMD Neunkirchen.© Servicebüro Jugendmigrationsdienste

Bleibt da noch Zeit für Hobbys? Mit den JMD-Kolleginnen und Kollegen verbringt er gerne Freizeit und sie sind über eine eigene Facebookgruppe verbunden. Taha ist auch sehr sportlich, geht regelmäßig ins Fitnessstudio, joggt und fährt für sein größtes Hobby, den Salsa-Tanz, bis nach Saarbrücken. Nach Abschluss seines Studiums will er sich einen lang gehegten Traum erfüllen: Salsa pur auf der Zuckerinsel Kuba.

Beruflich oder privat, Weltoffenheit zieht sich wie ein roter Faden durch Tahas Leben. Ein Spiegelbild der Welt ist auch die Bahnhofstraße in Neunkirchen, wo er durch sein Bürofenster in der ersten Etage der Nummer 26 das bunte Treiben beobachten kann: Ein arabischer Imbiss neben einem türkischen Supermarkt, ein marokkanisches Nagelstudio neben einer deutschen Bankfiliale. Und mittendrin, im Leben angekommen, Yaseen Taha.

Text: Servicebüro Jugendmigrationsdienste