„Wie geht es dir?“ – ein Ausstellungsbesuch

Eine Gruppe Jugendlicher sitz an einem Tisch.
Die Jugendlichen einer 12. Klasse setzen sich mit der Ausstellung auseinander. © Servicebüro Jugendmigrationsdienste

Eigentlich war der 7. Oktober 2023 als ganz normaler Samstag geplant – an den Gewerblichen und Hauswirtschaftlich-Sozialpflegerischen Schulen Emmendingen (GHSE) fand ein Israel-Palästina-Austausch statt und die Teilnehmenden freuten sich auf das Wochenendprogramm. Bis die islamistische Terror-Organisation Hamas Israel angriff. Ein Tag des Schreckens, weit über Israel und Palästina hinaus. Auch in Emmendingen herrschte Fassungslosigkeit, für die israelischen und palästinensischen Jugendlichen, die zu Besuch an der Schule waren, war die Welt plötzlich eine andere.

Der Konflikt war plötzlich ganz nah

„Was ist da los? Können wir noch nach Hause?“ – so beschreibt Sibylle Gerz vom örtlichen Jugendmigrationsdienst die Situation der Gäste vor zwei Jahren. Sie selbst arbeitete damals noch nicht als Respekt Coach an der Schule, aber in den Gesprächen mit Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern ist die damalige Atmosphäre noch immer spürbar. „Dadurch war plötzlich der Konflikt hier so greifbar und deshalb hat sich dieser Tag für viele auch so sehr eingeprägt“, erzählt die studierte Erziehungswissenschaftlerin, die nun als Respekt Coach für die Ausstellung verantwortlich ist.

60 Comics und eine Leitfrage

„Wie geht es dir?“ heißt die Schau, für die sich direkt nach den Anschlägen 48 Comic-Künstlerinnen und Künstler zusammenfanden und 60 Menschen interviewten, die in irgendeiner Weise selbst von Hass, Rassismus oder Antisemitismus betroffen sind oder mit menschenfeindlichen Ideologien arbeiten. „Eine der Künstlerinnen hat mir erzählt, dass es eine große Herausforderung war, die Interviews, die teilweise bis zu drei Stunden gingen, anschließend in Comicform zu bringen“ berichtet Sibylle Gerz mit Blick auf die beeindruckende Menge an Großformat-Kartons, die nun im Ausstellungsraum der GHSE zur Auseinandersetzung einladen.

Dass aus den Comics eine Ausstellung wurde, geht auf die Initiative der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg zurück. Und dass sie ausgerechnet an diesem Ort vier Wochen lang Station macht, ist dem JMD-Programm Respekt Coaches zu verdanken: Mit Projekten an mehr als 160 Standorten setzen sich die Fachkräfte bundesweit für Demokratieförderung und Extremismusprävention an Schulen ein. 

Drei Bilder gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus sthen auf dem Boden.
„Wie geht es dir?“ – Bilder der Ausstellung gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus. © Servicebüro Jugendmigrationsdienste

Großes Interesse an der Ausstellung

In Emmendingen ist der Caritasverband des Landkreises Träger des JMD und seiner Angebote – und Respekt Coach Sibylle Gerz freut sich über den Zuspruch, den die Ausstellung zu diesem Zeitpunkt, nur wenige Tage nach der Ausstellungseröffnung, bereits erfährt. „Die erste Führung hat schon stattgefunden, zehn weitere sind fest geplant.“

Heute ist es eine 12. Klasse, die gemeinsam mit ihrer Lehrerin Sandra Heim im Rahmen des Geschichts- und Gemeinschaftskunde-Unterrichts bei „Wie geht es dir?“ vorbeischaut. 22 Jugendliche auf der Zielgeraden zum sozialwissenschaftlichen Abitur, die sich nach einer kurzen Einführung durch Sibylle Gerz auf Papptafeln, Bilder und Geschichten einlassen. Konzentriertes Schweigen beherrscht den Raum während des ersten, knapp viertelstündigen Durchgangs: Die Jugendlichen nehmen Tafeln zur Hand, lesen Begleitmaterialien, setzen sich mit Fragen auseinander, die sie sich vielleicht selbst schon gestellt haben. Oder die vielleicht noch nie aufkamen.

Fragen, die unter die Haut gehen

„Die Vergangenheit zeigt uns leider, was alles möglich ist“, „Wie schaffe ich noch weitere Jahre Deutschland?“, „Mir macht diese brutale Entmenschlichung Angst“ – Leichte Kost liefert die Ausstellung nicht. Und doch ist vieles, was zum Ausdruck kommt, gut nachvollziehbar. Eine Schülerin beschreibt ihren Lieblingscomic so: „Der Zeichner ist auf das Thema Rassismus in Kombination mit Zukunftsängsten eingegangen: Eine schwangere Frau hat darüber geredet, dass sie Angst davor habe, wie ihr Kind später in der Gesellschaft behandelt wird, weil es wahrscheinlich asiatische Züge haben wird. Und ich fand das sehr interessant, weil ich darüber auch schon nachgedacht habe: Ob man sein Kind vor der Welt beschützen muss – und wie man es beschützen kann.“

Subjektive Geschichten und der Wunsch nach Weiterführung

Es sind allesamt subjektive Geschichten, die in der Ausstellung zum Ausdruck kommen. Nicht alle haben einen direkten Bezug zu den Geschehnissen vom 7. Oktober 2023. Bei der Abschlussrunde mit Respekt Coach Sibylle Gerz und Lehrerin Sandra Heim ist dann Platz für das, was als Leitmotiv über der Ausstellung steht: die Frage „Wie geht es dir?“. Und die Gefühle, die die Auseinandersetzung mit den nicht immer gut verdaulichen Themen hervorgebracht hat.

„Mir geht es trotz dem Thema jetzt eigentlich recht gut. Ich fand es schön, die ganzen Comics zu sehen – die verschiedenen Arten und Weisen, wie Leute Gefühle und Situationen rüberbringen. Man konnte sich gut mitreißen lassen, gut in sich reinfühlen.“ – so das Fazit einer Schülerin.

Eine Frau hält ein Bild mit einem Comic drauf.
Respekt Coach Sibylle Gerz erklärt Wissenswertes zur Ausstellung. © Servicebüro Jugendmigrationsdienste

Auch konstruktive Kritik ist zu hören – so finden es etwa zwei Jugendliche schade, dass die Ausstellung nur eine Momentaufnahme aus der Zeit kurz nach den Hamas-Angriffen darstellt und die anschließende Entwicklung nicht abgebildet werden kann: die Reaktionen Israels, das Leben der Menschen in Gaza, die internationalen Reaktionen. Tatsächlich sind Perspektiven bis Mitte 2024 eingefangen. „Was danach an Zuspitzung passiert ist, ist nicht Thema der Ausstellung. Wir kratzen hier ganz viel an“, ordnet Sibylle Gerz ein. Sie sieht die Schau als Startpunkt, um tiefer in Themen einzutauchen. Lehrkräften gibt sie Materialien und Ideen an die Hand, die die Vertiefung im Unterricht erleichtern.

Dass viele junge Menschen noch Wissenslücken haben, ist für den Besuch der Ausstellung nicht hinderlich. Als Respekt Coach ist ihr wichtig, den Jugendlichen mitzugeben, „dass Menschen aus unterschiedlichen Perspektiven ähnliche Gefühle empfinden können, es geht um emotionales Verstehen. Auch wenn sie den Nahostkonflikt nicht vollständig verstanden haben.“

Und so schafft die Ausstellung trotz ihres Inhalts einen leichten Zugang. Eine Schülerin fasst ihre Erkenntnis so zusammen: „Das waren einfach so persönliche Geschichten. Und diese Einsichten bekommt man halt auch nicht so oft mit. Man hat gar nicht so vor Augen, wie viele Perspektiven zu dem Thema es tatsächlich gibt.“ 

Ein Beitrag von: Servicebüro Jugendmigrationsdienste