Kopfrechnen beim Kopfball: Fußball als Integrationshilfe

Ein junger Mann steht vor einem Fußballfeld
Mohammed Al-Tuoba auf dem Gelände des VfB Ulm© Servicebüro Jugendmigrationsdienste

Sprache lernen, Freunde finden, in die Schule gehen, einen Ausbildungsplatz suchen: Das Leben in Deutschland kann sich besonders für junge Menschen mit Migrationshintergrund manchmal ganz schön kompliziert anfühlen. Wie unkompliziert ist dagegen der Fußball: Kicken auf ein Tor, das geht immer. Und der Sport verbindet Menschen und Kulturen auf der ganzen Welt. Ja, sogar das Deutsch- und Mathelernen kann beim Fußball plötzlich spielerisch einfach werden. Das zeigt das Projekt des JMD Ulm.

Jeden Montagnachmittag treffen sich junge Menschen im Alter von 10 bis 15 Jahren mit erfahrenen Coaches zum Kicken in der Sporthalle des VfB Ulm. Die Fußballgruppe ist Teil des Projekts „Kraftquellen“ des JMD Ulm, in dessen Rahmen Jugendliche niedrigschwellige Angebote bekommen, die Spaß machen, aber auch stabilisierend wirken sollen.

Speziell beim Fußball gelingt es, Kopf und Körper der Jugendlichen zu aktivieren und über das Herz auch den Verstand zu erreichen. Um die vor Energie und Bewegungsdrang sprühenden Jungs aus Syrien, Irak, Kosovo, Kroatien und anderen Ländern zu bändigen, ist Mohammed Al-Tuoba als eine Art großer Bruder an ihrer Seite. Geleitet wird die Fußball-AG von Bernhard Hügler (53). Er ist Lehrer an einer Waldorfschule und hat Erfahrung mit Deutsch als Fremdsprache. Der ehemalige Airbus-Ingenieur und Hobby-Fußballer Siegfried März (67) unterstützt ihn ehrenamtlich.

Ohne Mohammed wäre es schwieriger

Um 13 Uhr trifft man sich in der Umkleidekabine. Die Jungs plappern fröhlich durcheinander, teils auf Deutsch, teils in ihrer Muttersprache, wenn sie mit einem Landsmann reden. „Dann wird manchmal noch gevespert”, erklärt Coach Hügler auf gut Schwäbisch. Auch das müssen die Kinder lernen: Gut für sich sorgen, die eigenen Bedürfnisse ernstnehmen. Dann heißt es Aufbau, Warmmachen, Techniktraining, Ballführung, den Ball zum Mitspieler passen. Dabei werden auch einfache Grammatik-Übungen mit eingebaut, erzählt Hügler, zum Beispiel „Ich esse gerne Pizza, ich esse gerne Spaghetti”, jeder nennt sein Lieblingsessen. „Oder einfache Additionsübungen, während der Ball im Kreis läuft”, so Hügler. Und Mohammeds Aufgabe? „Er ist der Kompetenzführer”, beschreibt es Hügler. Er habe das Sagen bei den Jungs. „Wenn es mal Zoff gibt, dann kriegt er sie schnell wieder sortiert.” Ohne Mohammed wäre es schwieriger, weiß der Coach.

Ein junger Mann schießt einen Fußball in einer Fußballhalle
Bei Mohammed Al-Tuoba kommt (fast) jeder Pass an© Servicebüro Jugendmigrationsdienste

Mo Salah vom FC Liverpool ist Mohammeds sportliches Vorbild. Ihm eifert er nach, spielt wendig und trickreich, trotzdem mannschaftsdienlich. Er führt sein Team und zeigt, dass er gewinnen will. Die Jungs respektieren ihn. Einer von ihnen erklärt warum: „Er ist älter, und ist unser Freund.” Das mache ihn schon ein wenig stolz, versichert Mohammed. „Ich hatte eine schwierige Kindheit”, berichtet er, „aber ich möchte, dass es den Kindern und Jugendlichen hier gut geht.”

Der Fußball hat Mohammed geholfen, in Deutschland Fuß zu fassen

Als er vor sechs Jahren nach Deutschland kam, war der Bürgerkrieg in Syrien in vollem Gange. Als Palästinenser in Homs geboren, gelang ihm mit seiner Schwester schließlich die Flucht. Der Rest der Familie blieb zurück. Seitdem hasst er Krieg, dass sich Menschen gegenseitig bekämpfen und töten. „Auch in Deutschland habe ich manchmal schlechte Erfahrungen mit falschen Freunden gemacht”, sagt er bedauernd. „Aber ich habe auch sehr viel Gutes erlebt, und jetzt möchte ich etwas davon zurückgeben.” Der Fußball habe ihm geholfen, in Deutschland Fuß zu fassen. Er spielte schon in der syrischen Heimat, da war er Torwart. Nun ist er seit einigen Monaten Teil der neuen „Kraftquelle” Fußball und fühlt sich damit als Teil von etwas Größerem.

Gerade so ein niederschwelliges Angebot sei wichtig, um den Jugendlichen das Deutschlernen zu erleichtern, sagt Melanie Brumann. Zusammen mit Hanna Bareiß und Kornelia Zorembski arbeitet sie im Jugendmigrationsdienst (Träger: IN VIA) in Ulm. Das Angebot solle außerdem die Isolationstendenzen aus der Corona-Zeit wettmachen und den Jugendlichen helfen, in Bewegung zu kommen, da die Schulen und Vorbereitungsklassen das zu wenig anböten, so Hanna Bareiß.

Zweite Gruppe für Kindern und Jugendliche aus der Ukraine

Fußball als Kraftquelle funktioniere so gut, dass man gemeinsam mit dem VfB Ulm im April 2022 eine zweite Gruppe ins Leben gerufen habe, erzählt Melanie Brumann. Bei dem durch eine Spendensammlung der lokalen Zeitung Südwestpresse finanzierten Angebot gehe es vor allem darum, die ukrainischen Jugendlichen aus dem nahegelegenen Wohnheim zu erreichen. Die Gruppe sei offen für alle, auch für Mädchen. Einer, der sofort mitgemacht hat, ist Misha Potapov. Der 17-Jährige aus Odessa ist im März 2022 mit seiner Mutter nach Deutschland geflohen. In der Ukraine hatte er schon ein wenig Deutsch gelernt, seine Schwester macht in Neu-Ulm eine Ausbildung. Nun hilft ihm der Kontakt mit anderen Jugendlichen, in der Fußballgruppe Freunde zu finden und sich zu integrieren.

Ein jumger Mann steht vor einem Banner des VfB Ulm
In der zweiten Gruppe spielen vor allem geflüchtete Jugendliche mit wie Misha Potapov.© Servicebüro Jugendmigrationsdienste

Bernhard Hügler und Siegfried März sind wieder mit von der Partie, auch hier werden bewährte Grammatikübungen in den Sport integriert. Auch für den Verein hat sich das Engagement schon gelohnt. Drei Schüler aus der offenen Gruppe haben die Probetrainings bestanden und sind in das Jugend-Fußballteam des VfB Ulm aufgenommen worden. Eine Win-Win-Situation, von der wirklich alle profitieren.

Text: Servicebüro Jugendmigrationsdienste