Präsenz ist passé - Wie Corona den Arbeitsalltag der Respekt Coaches verändert

Das Foto zeigt zwei Respekt Coaches, die lachend Einladungen für die Veranstaltung "Lass uns reden" in die Kamera halten.
Ganz nach dem Programm-Motto „Lass uns reden“ laden die Respekt Coaches in Ratzeburg zum Gespräch – beim digitalen Kaffeeklatsch. © JMD Ratzeburg

Seit über einem Jahr sind aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie Schulen mehrheitlich geschlossen, Lockdowns und Kontaktbeschränkungen bestimmen den Alltag. Für junge Menschen kommen viele Herausforderungen zusammen. Sie fühlen sich einsam, haben Lernschwierigkeiten und Zukunftsängste. Für viele bedeutet Schule ein Schutzraum, der nun weggefallen ist, während gleichzeitig Hate Speech und Verschwörungserzählungen im digitalen Raum zunehmen. Gerade in diesen Zeiten ist das Bundesprogramm Respekt Coaches wichtiger denn je. Denn dessen Ziel ist es, die Persönlichkeit junger Menschen zu stärken und sie widerstandsfähig gegen Vorurteile und radikale Weltbilder zu machen. Fakt ist jedoch, dass Gruppenangebote in Klassen- oder Jahrgangsstärke, wie sie vor Corona stattgefunden haben, unmöglich durchzuführen sind.
Diese Erkenntnis brauchte zu Beginn der Pandemie eine gewisse Zeit: „Das war eine richtige Achterbahnfahrt“, erzählt Christopher Pfeiffer, Respekt Coach beim JMD Gifhorn. Damals war er mitten in der Planung eines Theaterstücks an seiner Berufsbildenden Schule. „Das mussten wir dann absagen und das hat mir einen richtigen Dämpfer verpasst, weil ich dachte: Gut, Präsenz ist erst mal passé.“ Obwohl die Enttäuschung groß war, stand für Pfeiffer fest, dass er schnell reagieren und Alternativen schaffen musste. So initiierte er einen onlinebasierten Rap-Workshop und hatte die Hoffnung, dass sich die Situation bald wieder entspannen würde.

Online-Angebote: Viele Voraussetzungen nötig

Generell bemühten sich die Respekt Coaches sehr schnell darum, Schülerinnen und Schülern Online-Projekte anzubieten. Für eine erfolgreiche Durchführung braucht es jedoch viele Voraussetzungen. Nicht alle haben ein eigenes Zimmer oder eine ruhige Ecke zu Hause – oder eine stabile Internetverbindung für eine ausreichend gute Bild- und Tonqualität. Mit Smartphones sind die meisten Jugendlichen versorgt, aber es fehlt an Tablets und Laptops, mit denen besser an Projekten gearbeitet werden kann. In solchen Fällen setzen sich die Mitarbeitenden für Fördermittel und Leihgaben ein. Doch selbst wenn die Voraussetzungen stimmen, sind Online-Angebote nicht immer die beste Lösung. „Ich habe in letzter Zeit gemerkt, dass die Jugendlichen auch satt sind. Sie sind teilweise sechs Stunden in Online-Konferenzen“, erzählt Pfeiffer.
Zudem stünden Angebote jenseits des Unterrichts für Schulen selten an erster Stelle. Sie sind selbst mit der Herausforderung konfrontiert, Lehrpläne umzustrukturieren und Jugendliche nicht zu verlieren. Aus Sicht der Respekt Coaches eine verpasste Chance, denn gerade in der aktuellen Situation kann das Präventionsprogramm Lethargie und Perspektivlosigkeit etwas entgegensetzen.  

Netzwerke stärken, außerschulisch arbeiten

Christopher Pfeiffer blieb dran und fing an, seine Fühler stärker zum eigenen Netzwerk auszustrecken. Gemeinsam mit der Stadtjugendförderung stellt er aktuell einen Equipment-Koffer zusammen und verfolgt damit einen konkreten Plan: „Ich habe mir gedacht, dass es jetzt an der Zeit ist, übergeordnete Strukturen in Gifhorn zu schaffen, auf die ich dann später zurückgreifen kann. Wenn die Schulen wieder offen sind, können wir direkt loslegen, Technik ausleihen und Podcasts produzieren.“ Im Rahmen der Aktionsreihe „Logout vom Lockdown – Corona Action“ ist bereits der Podcast Hidden G.O.A.T.S. entstanden, der jugendrelevante Themen aufgreift und in dem nun peu à peu auch Schülerinnen und Schüler aus Pfeiffers Hauptschule zu Wort kommen sollen.
 
Intensive Netzwerkarbeit und Projekte durchführen, die im Freizeitbereich und unabhängig von der Schule funktionieren, das sind Möglichkeiten, die auch Christian Klingbeil vom JMD Ratzeburg aktuell sieht. Corona mache kreativ, betont er: „Vieles kann nicht mehr stattfinden, das ist einfach so. Aber man darf nicht aufgeben, muss um die Ecke denken.“ Das kleinstädtische Umfeld sei dabei von Vorteil. „Im Kreis gab es eine Ausschreibung für Ferienprogramme. Da haben wir unser Respekt-Coaches-Angebot mit reingestellt, woraufhin sich Jugendliche auch gemeldet haben.“ So konnte im Sommer coronakonform ein Graffitiworkshop mit mehreren Kleingruppen durchgeführt werden.

Kontinuität beibehalten

Die Respekt Coaches in Ratzeburg halten zudem über Instagram Kontakt zu den Jugendlichen. Seit mittlerweile über einem Jahr bieten sie jeden Dienstag einen digitalen Kaffeeklatsch an: Locker und zwanglos können sich Interessierte dazuschalten. Die Kontinuität sei dabei wichtig, meint Klingbeil. Damit die jungen Leute wissen: Wo sind die Respekt Coaches, wo kann ich sie ansprechen? Der Gesprächsbedarf sei jedenfalls da. So habe im letzten Jahr die ganzheitliche Beratung der Jugendlichen im Vergleich zu den Gruppenangeboten zugenommen.


Klar ist, dass die Räume, die das Programm normalerweise öffnet – Räume, in denen Diskurse stattfinden, Meinungen ausgetauscht und Perspektiven gewechselt werden – digital nur bedingt hergestellt werden können. Als Ansprechpersonen erfüllen die Mitarbeitenden in Zeiten wie diesen dennoch wichtige Aufgaben. Während sie zuvor externe Bildungsträger in die Schulen einluden, entwickeln sie vermehrt eigene Formate und Ideen, um Schülerinnen und Schüler abzuholen. Die Arbeit hat sich verändert, aber sie geht weiter, je nach regionalen Gegebenheiten und individuellen Möglichkeiten. Und sie muss auch weitergehen, darin sind sich die Respekt Coaches einig.

Text: Servicebüro Jugendmigrationsdienste